Der Traum vom Paradies? Das Deutsche Reich in der Südsee

Der Traum vom Paradies? Das Deutsche Reich in der Südsee

Organisatoren
Deutsches Historisches Museum; Universität Bayreuth
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.09.2007 - 14.09.2007
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Von
Hans-Martin Hinz, Deutsches Historisches Museum

Seit einem Jahrzehnt finden in Berlin alle zwei Jahre die Asien-Pazifik-Wochen statt, bei denen sich die Wirtschaft und Kultur des asiatisch-pazifischen Raumes und Deutschlands in Form vieler Veranstaltungen begegnen. Die Asien-Pazifik-Wochen – eine Veranstaltung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin mit Unterstützung des Hauses der Kulturen der Welt – gaben bislang jeweils ein Schwerpunktland als Zentralthema vor. 2007 wurde davon abgewichen, so dass eine Reihe von Kultureinrichtungen das lange vernachlässigte Thema Pazifik in den Mittelpunkt ihrer Beiträge stellte.

Das Deutsche Historische Museum bot mit dem Internationalen Symposium zur deutschen Kolonialzeit im Pazifik ein historisches Thema an, um Gelegenheiten zu schaffen, sich mit einer aus europäischer Perspektive entfernten Region zu befassen und auseinander zu setzen, die im öffentlichen Diskurs bislang viel zu wenig gewürdigt worden ist. Möglicherweise hängt dies mit vorgefassten Meinungen und Klischees zusammen, die bis heute in Deutschland eine ernsthafte Wahrnehmung verhinderten. Dass die pazifischen Staaten in der Gegenwart trotz ihrer geringen geographischen Größe und kleinen Bevölkerungszahlen durchaus politisches Gewicht besitzen, wird z.B. dann deutlich, wenn bei Abstimmungen in der Vereinten Nationen ihre insgesamt 12 Stimmen in die Waagschale fallen.

Das Deutsche Historische Museum setzte mit diesem Symposium seine Programmarbeit zur deutschen Kolonialgeschichte fort, die Ende der 90er Jahre mit einer vielbeachteten Ausstellung zur deutschen Kolonialzeit in China begann und die von einem internationalen Symposium über den Kulturtransfer dieser Zeit begleitet wurde.

Es folgten 2004 mehrere Symposien zum Thema Namibia und eine Ausstellungsübernahme vom Kölner Rautenstrauch-Joest Museum („Namibia-Deutschland. Eine geteilte Geschichte: Widerstand-Gewalt-Erinnerung“) sowie 2005 ein internationales Symposium zum Maji-Maji-Aufstand im ehemaligen Deutsch-Ostafrika, heute Tansania.

Alle Veranstaltungen folgen der Grundkonzeption des Deutschen Historischen Museums, deutsche Geschichte im internationalen Zusammenhang zu zeigen. Um unterschiedliche Sichtweisen auf historische Themen zu präsentieren, wäre eine rein innerdeutsche Diskussion, wenn auch mit durchaus unterschiedlichen Positionen, unzureichend, um das angestrebte Ziel sicherzustellen. Dies gelingt deutlich besser, wenn Referenten aus den Regionen zu Wort kommen, um die es thematisch geht. Nur wenn man weiß, wie der andere denkt, kann man ihn auch verstehen und dann ist die Chance groß, die Kolonialgeschichte als interkulturellen Dialog der Gegenwart zu nutzen und zu begreifen, um so das Verständnis für das Fremde, den oder die Anderen zu fördern. Darin liegt auch eine Chance für eine nachhaltige Bildungsarbeit.

Die Südsee-Tagung wurde vom DHM gemeinsam mit der Universität Bayreuth vorbereit und realisiert. Mit Prof. Dr. Hermann Hiery, Lehrstuhlinhaber für Neueste Geschichte in Bayreuth, war zudem der profundeste Kenner der deutschen Kolonialgeschichte im Pazifik am Symposium maßgeblich beteiligt.

Als Referenten für das Symposium im September 2007, zu dem sich 150 Interessenten angemeldet hatten, konnten Sprecher aus Samoa, Papua-Neuguinea, Australien, Neuseeland und Deutschland gewonnen werden. Das Auswärtige Amt unterstützte freundlicherweise die Tagung.

Um bei der Beschäftigung mit dem historischen Thema einen Bezug zur Gegenwart herzustellen, fand die Auftaktveranstaltung beim Kooperationspartner Neuer Berliner Kunstverein (NBK) statt. Im Rahmen der Asien-Pazifik Wochen 2007 wurde die von ALEXANDER TOLNAY vorbereitete Ausstellung „Date Line. Zeitgenössische Kunst des Pazifiks“ besucht. Die australische Ko-Kuratorin RHANA DAVENPORT, Direktorin der Govett-Brewster Art Gallery in New Plymouth, Neuseeland, führte in einem Vortrag in die Gegenwartskunst der südpazifischen Inseln, unter Einschluss Neuseelands, ein, bot ein breites Spektrum der Entwicklung während der vergangenen drei Jahrzehnte und erläuterte die aktuellen Kunstobjekte der Ausstellung.

Das Symposium im engeren Sinn eröffnete HERMANN HIERY mit dem Vortrag „Der Südpazifik als Kolonialraum und die Rolle des Deutschen Reiches“. Dabei stellte er die geographische, historische und politische Situation des Gesamtraumes in Vergangenheit und Gegenwart dar, so dass insbesondere auch diejenigen, die sich bislang kein Bild von diesem Teil der Erde machen konnten, eine vorzügliche Einführung und einen guten Überblick erhielten: Grundlage für das weitere Verständnis der Tagung. Deutlich wurde, dass bereits vor der staatlichen deutschen Kontrolle über eine Vielzahl von Inseln im Pazifik, die Erschließung des Raumes durch deutsche Handelsunternehmen, zuerst von Chile kommend, erfolgte und dass deutsche Matrosen und Händler infolge von Einheiratung in die einheimische Bevölkerung als frühe deutsche „Agenten“ vor Ort agierten. Sie wurden so zu Vorboten bzw. Wegbereitern staatlichen Engagements, das sowohl als Reaktion auf wirtschaftliches Missmanagement der Unternehmen erfolgte, in dem aber auch das politische Bemühen des Deutschen Reiches zu sehen ist, sich einen „Platz an der Sonne“ im Wettkampf mit anderen Kolonialmächten zu sichern.

Als Ehrengast des Symposiums und als einheimische Stimme sprach der Vizepremierminister von Samoa, HERMANN MISA TELEFONI RETZLAFF, über die gemeinsame aber – und dies mit einem Fragezeichen versehen – ungleiche Geschichte vor 100 Jahren. Für all diejenigen, die eine Anklage der indigenen Seite gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht erwartet hatten, war der Vortrag in seiner Aussage eine Überraschung. Retzlaff machte sehr schnell deutlich, dass es in Samoa ein grundsätzlich positives Verhältnis zur deutschen kolonialen Vergangenheit gibt und dass sich tragende samoanische und deutsche Gemeinsamkeiten durch das letzte Jahrhundert bis in die Gegenwart hinzögen. Er belegte dies anhand von Familienbeispielen, die seit der Kolonialzeit das Miteinander praktizieren. Seine eigene Familiengeschichte gehört dazu: Der Großvater aus Stettin – aus armen Verhältnissen stammend - führte auf Samoa zur Kolonialzeit das Telefonsystem ein und heiratete eine Einheimische. Für Kinder und Enkel wurde mit Stolz der Familienname Retzlaff um den Namen Telefoni erweitert.

Ein Grund für die positive Grundeinstellung der Samoaner zur deutschen Vergangenheit – und dies wird von deutschen Historikern ebenso gesehen – dürfte in der Persönlichkeit und in der Handlungsweise des deutschen Gouverneurs Solf liegen. Dieser hatte sich von Anfang an für den Schutz der indigenen Kulturen eingesetzt, verzichtete auf koloniale Vorgehensweisen, etwa Umbenennung von Bergen, Seen und Stränden mit fremden Namen und verhinderte - und dies durchaus im Konflikt mit deutschen Handelsinteressen – die Ökonomisierung der Inseln durch weitgehenden Verzicht auf die Ansiedlung von Fremdarbeitern (wie es etwa die Briten im benachbarten Fiji mit der Zuwanderung von indischen Kräften praktizierten). Er befreite die Samoaner nach einer Petition ihrer Oligarchie von Fremdarbeit bei den Europäern und ließ den Erwerb von Grund und Boden durch die Europäer außerhalb der Hauptstadt Apia nicht zu. Damit war einer Europäisierung des Landes enge Grenzen gesetzt und der Gouverneur konnte so das Konfliktpotential ausgesprochen niedrig halten. Dies ist durchaus auch ein Grund für die heutige stabile Lage des Landes.

Wie ungebrochen der Umgang mit der deutschen Vergangenheit ist, zeigt die Prägung von samoanischen Silbermünzen zu Ehren des früheren Gouverneur Solf, die Herausgabe eine Briefmarke anlässlich der deutschen Einheit und der Schutz deutscher Architektur und Kulturgüter, etwa das Kolonialarchiv in der Hauptstadt Apia, das gegenwärtig gesichert wird.

Anstelle der verhinderten Referentin GENEVIEVE CABRERA aus Saipan (Northern Mariana Islands), die über die mikronesische Sicht auf die Kolonialzeit berichten wollte (Abdruck erfolgt in der Tagungspublikation), sprach STEFAN MAAR über das bedrohte kulturelle Erbe in der Südsee. Der Unternehmer Maar ist auf Gebäude und Objektsanierung spezialisiert und kooperiert im Südpazifik mit der UNESCO, wenn es darum geht, etwa die von der Witterung massiv bedrohten Moai-Statuen der Osterinsel zu sichern. Neben archäologischen Grundsicherungen gibt es ebenso Kolonialbauten, die geschützt werden müssen, um sie nicht dem Verfall preiszugegeben. Als ein Beispiel nannte er die ehemalige Bischofskathedrale in Ponape aus deutscher Zeit. Auch die Kolonialbauten zu retten und zu sichern ist für das historische und kulturelle Verständnis der Inselwelten von großer Bedeutung.

Die Arbeit der katholischen und protestantischen Missionen im Südpazifik während und nach der Kolonialzeit wurde von Referenten aus Papua-Neuguinea bzw. Missionaren, die auf dort tätig waren, vorgetragen: Von der Neuendettelsauer Mission waren dies der Direktor des Missionswerkes HERMANN VORLÄNDER und Pfarrer MANASSE LAPU aus Papua Neuguinea, von der Insel Umboi/Siassi. Für die Steyler Mission sprach Pater JOSEF ALT vom St. Pius Kolleg in München und von den Herz-Jesu-Schwestern waren dies Agnes Winter und Bartholomäa Janssen aus Münster-Hiltrup.

Der Arbeit der Missionen kommt für die Entwicklung Papua-Neuguineas – aber auch anderer Südseeregionen - große Bedeutung zu, war doch der Südseeraum ein intensives Missionsgebiet für Missionare aus aller Welt. Deutlich wurde das enorme persönliche Engagement der Beteiligten bei der Hilfe für diese Region, sowohl im Bildungswesen, als auch im Gesundheitsdienst sowie in der pastoralen Betreuung. Dass diese Arbeit auch von Konflikten und Verlusten begleitet wurde, zeigt die Ermordung von Hiltruper Missionaren und Schwestern im Jahre 1904 (St. Paul, North Baining, Papua-Neuguinea). In den Vorträgen dominierte die Überzeugung von der eigenen Berufung.

Über die deutschen Siedler im Pazifik und ihre Nachkommen sprach JAMES BADE von der University of Auckland in Neuseeland. Er berichtete dabei über den Anlass der Zuwanderung der Immigranten nach Neuseeland, nach Tonga und nach Samoa und stellte anhand einer Anzahl von Familiengeschichten deutlich heraus, wie die Deutschen sich rasch in die aufnehmenden Gesellschaften integrierten. Im Gegensatz zu anderen klassischen Einwanderungsländern gibt es auch nur wenige geschlossene Siedlungen der Deutschen, wie etwa Puhoi in Neuseeland, einer sudentendeutsche Ansiedlung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

HELMUT ZEDELMAIER von der Ludwig-Maximilians-Universität in München zeichnete das Bild von den Südseebewohnern im Deutschen Reich nach und erläuterte dies an den Beispielen sogenannter Samoadörfer und Völkerschauen, die in Zoos und auf großen Ausstellungen in Deutschland vor allem durchaus aus kommerziellen Überlegungen zu sehen waren. Welche Imageprägungen von „unseren neuen Landsleuten“ dabei hervorgerufen wurden und wie sich dieses Bild von den fremden Kulturen verfestigte, war für die Zuhörenden sehr aufschlussreich.

BIRGITTA BAUER vom Missionsärztlichen Institut Würzburg sprach über die medizinische Versorgung in der Südsee zwischen kolonialer Wissenschaft und humanitärem Auftrag und spann dabei einen weiten Bogen von den Herausforderungen für die Mediziner in der Kolonialzeit, die ursprünglich nur das Kolonialpersonal und die Arbeiter auf den Pflanzungen betreuten, den Aufbau eines Netzes an medizinischer Versorgung in der Folgezeit bis hin zu den Herausforderungen der Gegenwart, etwa der HIV-Gefahr. Deutlich wurde, wie man den tropischen Krankheiten begegnete und wie sich das Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung entwickelte.

Die letzten beiden Vorträge des Symposiums waren der Gegenwart gewidmet.

AMARESWAR GALLA von der University of Queensland in Brisbane, Australien, ging der Frage nach der kulturellen Vielfalt im Pazifik heute nach. Ist sie weiterhin ein Traum oder bereits Realität? Dabei stellte er heraus, wie die unterschiedlichen Kulturen in der Region repräsentiert werden, etwa in Ausstellungen oder bei Veranstaltungen. Seiner Meinung nach dominiert trotz vieler Bemühungen häufig noch ein eingegrenztes Bild vom Anderen, wie dies Ausstellungspräsentationen belegen. Sie seien noch zu sehr von Vorstellungswelten geprägt, die dem Indigenen nicht voll gerecht werden. Wie diese überwunden werden können und was dafür getan wird, zeigte er an Programmen der Museums Studies der Universitäten auf, ebenso an der Arbeit internationaler Museumsverbände, wie dem International Council of Museums (ICOM) oder auch regionaler pazifischer Museumsverbände, die für Museumsleitungen und Mitarbeiterinnen entsprechende Seminare und Projekte bieten.

WOLFGANG PIECHA, der neue Leiter des Referates Südostasien-Pazifik im Auswärtigen Amt in Berlin, berichtete über die politische Bedeutung der Region und die Aktivitäten der deutschen Außenpolitik in und für die pazifischen Staaten, auch im Vergleich mit den Aktivitäten anderer Staaten, wie China, den USA oder auch der EU. Auch wenn die konsularische Betreuung in der Vergangenheit zurückgefahren wurde und Deutschland nicht überall mit staatlichen Stellen präsent ist, so ist doch ein Zuwachs an Hinwendung und Unterstützung für die Region überall sichtbar. Dafür wurden Beispiele aus der Wirtschaftshilfe, der Bildung und Ausbildung und der Zusammenarbeit erläutert. Der Pazifische Raum hat für die deutsche Außenpolitik einen Bedeutungszuwachs erfahren.
Die Konferenz verabschiedete eine einstimmig beschlossene Resolution wonach die deutsche Politik die historisch gewachsenen freundschaftlichen Beziehungen zu den pazifischen Staaten künftig noch stärker beachten möge.

Bei der Bewertung des internationalen Symposiums zur deutschen Kolonialzeit im Pazifik kann festgehalten werden, dass der Südseeraum als Kolonialraum offenbar anders eingeschätzt werden muss als flächengrößere und möglicherweise politisch bedeutendere Kolonialgebiete. Die Kolonialzeit, auch die Einwanderungen, der Umgang miteinander und die Integrationsleistungen waren weit weniger konfliktreich als anderswo, werden im Gegenteil eher als Bereicherung, als Hilfe, Schutz und zugleich als Modernisierungsschub bei Wahrung kultureller und sozialer Identitäten gesehen, vor allem von den Betroffenen selbst.
Eine Tagungspublikation ist für das Frühjahr 2008 geplant.


Redaktion
Veröffentlicht am
20.10.2007
Klassifikation
Epoche(n)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts